Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Muskelschwäche können auf eine Polyneuropathie hinweisen. Die Erkrankung kann verschiedene Ursachen haben – etwa Diabetes, Infektionen oder erbliche Faktoren. Dr. med. Michael Annas, Experte für neurologische Rehabilitation, beantwortet fünf wichtige Fragen zu Ursachen, Behandlung und Rehabilitation.
Herr Dr. Annas, eine Polyneuropathie kann vielfältige Symptome haben. Bei welchen Anzeichen sollte man ärztlichen Rat einholen?
Bei neu auftretenden Beschwerden wie Kribbeln oder Taubheitsgefühlen, einer Schwäche in Armen, Händen oder Beinen – insbesondere bei einer Fußheberschwäche – sollte man ärztlichen Rat einholen. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn solche Beschwerden nach einer kürzlich überstandenen Infektion des Magen-Darm-Trakts oder der oberen Atemwege auftreten. In diesem Fall sollte man umgehend ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Gibt es neue Forschungsergebnisse, die Hoffnung auf bessere Behandlungsmöglichkeiten machen?
Ja, die gibt es. Ich habe bereits die hereditäre Transthyretin-Amyloidose (hATTR) erwähnt – eine genetisch bedingte Erkrankung mit vermutlich hoher Dunkelziffer, die mittlerweile gut behandelbar ist. Vermutlich lassen sich einige bislang ungeklärte Formen von Polyneuropathien darauf zurückführen. Dennoch sind weitere genetische Forschungen zu den unterschiedlichen erblichen und anderen Formen der Polyneuropathie sowie die Entwicklung neuer medikamentöser Therapien erforderlich. Besonders im Bereich der immunologisch bedingten Polyneuropathien stehen heute bereits zahlreiche differenzierte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Wann ist eine Rehabilitation sinnvoll?
Grundsätzlich gilt: Je früher die Ursache der Polyneuropathie bekannt ist und eine gezielte Therapie eingeleitet wird, desto größer sind die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung und Verbesserung der Funktionsstörungen. Daher sollte möglichst früh nach der Diagnosestellung eine erste neurologische Rehabilitation erfolgen. Durch verschiedene rehabilitative Maßnahmen können Betroffene frühzeitig wertvolle Unterstützung, praktische Tipps und gezielte Übungen erhalten, um Beschwerden zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern. Auch bei chronischen Verläufen der Polyneuropathie ist eine Rehabilitation in regelmäßigen Abständen sinnvoll, um Fitness und Lebensqualität zu verbessern oder zumindest zu erhalten.
Was kann ich selbst tun, um den Verlauf meiner Erkrankung positiv zu beeinflussen?
Unabhängig von der Ursache der Polyneuropathie ist regelmäßige körperliche Aktivität im Alltag wichtig – etwa Spaziergänge, Schwimmen, Radfahren, Walking, Joggen oder Training im Fitnessstudio – um die Muskulatur zu stärken. Genauso wichtig ist ein gezieltes Gleichgewichtstraining, um die Sturzgefahr zu verringern und Folgeerkrankungen wie Knochenbrüche und damit verbundene Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.
Darüber hinaus kann man viel tun, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen wie z. B. Übergewicht vermeiden, nicht rauchen, auf eine ausgewogene und vitaminreiche Ernährung achten, übermäßigen Alkoholkonsum vermeiden und Stoffwechselstörungen (Blutzucker, Blutfette, Harnsäure) gut einstellen lassen.
Ist eine Polyneuropathie heilbar?
Viele Formen der Polyneuropathie sind ursächlich behandelbar. In etwa 20 Prozent der Fälle lässt sich jedoch keine eindeutige Ursache feststellen – man spricht dann von einer idiopathischen Polyneuropathie. In diesen Fällen steht die symptomatische Behandlung im Vordergrund: zum Beispiel mit Medikamenten, physikalischen Maßnahmen, Krankengymnastik, Ergotherapie oder anderen rehabilitativen Therapien, um die Lebensqualität bestmöglich zu erhalten und zu verbessern. Entscheidend für den Behandlungserfolg sind auch die Motivation und aktive Mitarbeit der Patient*innen – nur gemeinsam kann die Erkrankung erfolgreich behandelt werden.
Dr. med. Michael Annas
Dr. med. Michael Annas ist emeritierter Chefarzt der Fachklinik für Neurologische Rehabilitation an der MEDICLIN Hedon Klinik in Lingen. Dr. Annas verfügt über langjährige Erfahrung in der neurologischen Rehabilitation und gilt als ausgewiesener Experte für Erkrankungen wie Polyneuropathie.